Abgekürzte Kündigungsfristen durch einen Tarifvertrag (beschränkt auf den Geltungsbereich eines Sozialplans?)

Gleich in einer ganzen Reihe von ähnlich gelagerten Fällen (vgl. nur die Leitsatzentscheidung: BAG, Urteil vom 24.10.2019, 2 AZR 158/18) hat das Bundesarbeitsgericht am 24.10.2019 entschieden, dass es grundsätzlich möglich ist, die gesetzlichen Kündigungsfristen des § 622 BGB durch einen Tarifvertrag abzukürzen – und:  Es kann diese Regelung vorab auf die Arbeitsverhältnisse beschränkt werden, welche später in den Geltungsbereich eines wirksamen Sozialplans fallen.

In den betreffenden Fällen ging es um den Rahmentarifvertrag für die Hafenarbeiter der deutschen Seehafenbetriebe (RTV-Hafenarbeiter) in der Fassung vom 13.09.2001. Die Besonderheit bestand darin, dass der in Rede stehende Rahmentarifvertrag die gesetzlichen Kündigungsfristen nicht einheitlich für die gesamte Branche abkürzt, sondern nur für Kündigungsfälle, in denen im Betrieb ein Sozialplan wirksam zustande kommt(!).

Die Tarifvertragsparteien haben somit  zum Zeitpunkt der tarifvertraglichen Regelung an einen Sachverhalt angeknüpft, der beim Inkrafttreten des Sozialplans noch nicht normiert war, sondern zukünftig erst noch geregelt werden sollte – und zwar nicht von den Tarifvertragsparteien selber, sondern auf betrieblicher Ebene vom Betriebsrat und dem Arbeitgeber.

Im vorliegenden Fall ist zudem der „erforderliche“ Sozialplan nicht durch eine direkte Einigung zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber zustande gekommen, sondern erst durch einen Einigungsstellenspruch. Die dagegen gerichtete Anfechtung des Betriebsrates ist erfolglos geblieben, BAG, Beschluss vom 07.05.2019, 1 ABR 54/17).

Gesetzliche Kündigungsfristen können nur durch einen Tarifvertrag wirksam abgekürzt werden. Folglich kam es für die abgekürzten Kündigungsfristen entscheidend darauf an, ob die tarifvertragliche Regelung noch von der Öffnungsklausel des § 622 Abs. 4 S. 1 BGB gedeckt ist. Sie ist es, wie das Bundesarbeitsgericht entschieden hat.

Das Bundesarbeitsgericht ist zunächst im Wege der Auslegung des Tarifvertrages zu dem Ergebnis gekommen, dass die Anwendbarkeit verkürzter Kündigungsfristen voraussetzt, dass ein (erzwingbarer) Sozialplan zustande gekommen ist, in dem die wirtschaftlichen Nachteile  für die Arbeitnehmer ausgeglichen werden (BAG, Urteil vom 24.10.2019, 2 AZR 158/18, Rn 23).

Das Bundesarbeitsgericht hat weiterhin gesehen, dass ohne einen wirksamen Sozialplan die tarifliche Kündigungsfrist in Abhängigkeit von der Betriebszugehörigkeit bis zu 9 Monate betragen kann; im Anwendungsbereich eines Sozialplans jedoch einheitlich nur noch einen Monat. Das sei eine Ungleichbehandlung, welche zur Rechtfertigung eines sachlichen Grundes bedarf.

Das Bundesarbeitsgericht hat sodann den Tarifvertragsparteien einen weiten Einschätzungsspielraum zugestanden (BAG, Urteil vom 24.10.2019, 2 AZR 158/18, Rn 31). Auch seien die Tarifvertragsparteien nicht in gleicher Weise grundrechtsgebunden, wie der Gesetzgeber (BAG, Urteil vom 24.10.2019, 2 AZR 158/18, Rn 34). Im Ergebnis sei die  Ungleichbehandlung gerechtfertigt, weil ein Sozialplan dahinter stehen würde.

Zwar kannten die Tarifvertragsparteien den konkreten Inhalt des Sozialplans nicht und konnten ihn auch gar nicht kennen, denn der Tarifvertrag ist fast auf den Tag genau 15 Jahre älter ist als der Sozialplan. Die Tarifvertragsparteien durften jedoch seiner Zeit davon ausgehen, dass ein Sozialplan – wenn er denn wirksam zustande kommt – typischer Weise mit unterschiedlich hohen Abfindungen einen Ausgleich für einheitlich abgekürzte Kündigungsfristen nachliefern wird. „Verlängerte Kündigungsfristen und Sozialpläne verfolgen parallele Zwecke“, so das Bundesarbeitsgericht (BAG, Urteil vom 24.10.2019, 2 AZR 158/18, Rn 44).

Weil also (typischer Weise) ein Sozialplan in gleicher Weise wie die verlängerten Kündigungsfristen einen sozialen Ausgleich schafft, konnten im Vorfelde die Tarifvertragsparteien diesen Gesichtspunkt ungeregelt lassen und alle Kündigungsfristen unterschiedslos auf einen Monat abkürzen (vgl. BAG, Urteil vom 24.10.2019, 2 AZR 158/18, Rn 47).

Weiterhin hat das Bundesarbeitsgericht ausgeführt, dass die tarifliche Regelung auch nicht am AGG – Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz scheitert (BAG, Urteil vom 24.10.2019, 2 AZR 158/18, Rn 50 ff.).

Allerdings hat das Bundesarbeitsgericht die vorinstanzliche Entscheidung des Landesarbeitsgerichts dennoch aufgehoben und den Rechtsstreit zurückverwiesen. Es wurde in der Vorinstanz versäumt aufzuklären, ob der Tarifvertrag nach Betriebsübergang, Verschmelzung, weiterem Betriebsübergang und Umfirmierung tatsächlich zur Anwendung kommt (BAG, Urteil vom 24.10.2019, 2 AZR 158/18, Rn 9 ff.).

Parallelentscheidungen:

Bundesarbeitsgericht, Urteile vom 24.10.2019

2 AZR 101/18
2 AZR 102/18
2 AZR 103/18
2 AZR 158/18
2 AZR 160/18
2 AZR 168/18
2 AZR 253/18
2 AZR 262/18
2 AZR 489/18
2 AZR 577/18